Projekt

Dichterlesungen
der Groß-Gerauer Volksbank

Ausgangslage

Die Kreisstadt Groß-Gerau schickt sich (verstärkt) unter dem neuen Stadtoberhaupt an, künftig auch kulturell ihre Mittelpunktfunktion wahrzunehmen. Die eindrucksvollen Ausstellungen im Stadtmuseum sind dabei erste Wegmarken. Anzeichen einer kulturellen „Aufbruchstimmung“ scheinen erkennbar. Was Groß-Gerau zusätzlich attraktiv machen könnte, wäre eine Veranstaltungsreihe, die es in dieser Form zumindest kreisweit nicht gibt – Dichterlesungen. Dies dreimal pro Jahr (Frühjahr, Herbst, Winter).
Projekt-Präsentation mit (v.l.) Volksbank-Vorstand Jorg Lindemann, W.Christian Schmitt, Volksbank-Vorstandvorsitzender Hans-Peter Born, Bürgermeister Stefan Sauer.

Wer sollte wo auftreten?

Gedacht ist, republikweit bekannte Lyrikerinnen und Lyriker in die Kreisstadt zu holen. Wunschkandidaten wären dabei u.a.: Sarah Kirsch, Ulla Hahn, Wolf Biermann, Peter Rühmkorf, Volker Braun, Wolf Wondratschek, Reiner Kunze, Ludwig Fels, Manfred Hausin, Richard Exner, Sigfrid Gauch, Elisabeth Borchers, Michael Krüger, Fitzgerald Kusz, Kurt Drawert, C. W. Aigner, Uwe-Michael Gutzschhahn, Barbara Maria Kloos, Friederike Mayröcker, Ursula Krechel etc. Die Veranstaltungen könnten/sollten in der Volksbank-Kundenhalle stattfinden. Neben dem „Star-Dichter“ ist der Auftritt eines Lyrikers/einer Lyrikerin aus dem Kreisgebiet vorgesehen/möglich (u.a. Dr. Dittmar Werner, Anette Welp, Herbert Friedmann).

Wie ließe sich der Dichterbesuch für die Kreisstadt optimal nutzen?

Am Nachmittag Empfang durch den Bürgermeister, u. U. Eintrag ins Goldene Buch. Anschließend Signierstunde in Buchhandlung oder Stadtbücherei. Dann etwa einhalbstündige Leseveranstaltung in der Voba-Kundenhalle mit anschließender Möglichkeit zum Gespräch (vielleicht auch Büchertisch). Abschluss in kleiner Runde dann z.B. im Hotel Adler, wo Übernachtung angedacht wäre.

Wer sollte all dies ermöglichen?

Volksbank, Buchhandlung, Kulturamt sowie Hotel Adler könnten ein Kostensplitting vereinbaren. Das Wir-Magazin steht für eine publizistische Vor- und Nachbereitung zur Verfügung. Präsentation der Reihe im Rahmen einer von der Volksbank ausgerichteten Pressekonferenz mit Vertretern auch regionaler Medien.

Wie könnte eine Veranstaltung aussehen?

Grußworte Voba-Vorstand, Vorstellung des bundesweit bekannten Autors, Lesung des Dichters, Musikstück, Vorstellung des kreisweit bekannten Autors, Lesung, Schlusswort und Einladung zum Gespräch.

Wer hat eine solche Idee und könnte warum eine solche Veranstaltungsreihe moderieren?

Meine Affinität zu Lyrik und ihren Produzenten hat eine Vorgeschichte (siehe auch beigefügte Vita). Als Feuilletonredakteur, zunächst beim Darmstädter Echo, gab es zahlreiche Begegnungen mit Autoren, später dann - von 1982 bis 1986 - wurden im Darmstädter Echo in der von mir initiierten und moderierten (und zusammen mit Karl Krolow und Fritz Deppert realisierten) Artikelserie „Lyrik, Lesern nahegebracht“ Gedichte vorgestellt und interpretiert von insgesamt etwa 90 Literaten (siehe auch beigefügte Übersicht). Noch später entstanden mehrere Bücher und Anthologien mit und über Autoren. Meine besondere Hinwendung zur Lyrik lässt sich auch daran ablesen, dass allein meine Lyrik-Bibliothek über 1.300 Bände zählt. Zu nahezu allen genannten Wunschkandidaten gab es bereits in meiner Journalistenzeit einen Kontakt, dies in Form eines Werkstattbesuchs, eines Interviews o.ä.
Bei einer ähnlichen Veranstaltungsreihe konnten vor Jahren unter dem Titel „Zu Gast in Reichelsheim“ bundesweit bekannte Schriftsteller wie z.B. Günter Grass, Erich Loest, Gabriele Wohmann, Gaby Hauptmann, Ingrid Noll oder Susanne Mischke in die kleine Odenwaldgemeinde gelockt werden. Dort damals mit Unterstützung der Sparkasse Odenwaldkreis, die einen Etat zur Verfügung stellte.

W. Christian Schmitt, 9.8.2007


Liebe Literatur-, liebe Lyrikfreunde,
herzlich willkommen bei unserer neuen Veranstaltungsreihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“,

die im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, Kreisstadt und dem Wir-Magazin entstanden ist. Dem Volksbank-Vorstand, in dessen Räumen wir heute zu Gast sind, ist in besonderer Weise für das Zustandekommen dieses Kulturevents zu danken. Natürlich auch Bürgermeister Stefan Sauer, der die Schirmherrschaft übernommen hat. Und ebenso Wolf Wondratschek (auf unserem Foto rechts) und Dittmar Werner, den Akteuren des Abends, die diese Lesereihe eröffnen.
Erlauben Sie mir einen kurzen Einstieg in unsere Veranstaltungsreihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“. Dichter lesen also hier und heute in der Kreisstadt. Sicher kein alltäglicher Vorgang. Unlängst ist mir ein Satz begegnet, der in etwa so lautete: Dichter und Lyrik haben es heutzutage schwer in diesem Lande. Stimmt das? Ist Lyrik – im einstigen Land der Denker und Dichter - nur noch etwas für einen kleinen Kreis von Literaturkennern?

Wie so oft, wenn man nicht ganz sicher ist, schaut man heutzutage nach im Internet. Auch ich habe dies getan, und Erstaunliches war da zu entdecken. Allein auf deutschsprachigen Webseiten waren unter dem Suchbegriff „Lyrik“ 172.000 Einträge zu finden; und in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig sind gar mehr als 16.000 Lyrik-Bände aus allen Epochen gelagert. (Leider nur knapp 1.500 davon finde ich in meiner Hausbibliothek). Aus all dem könnte man schlussfolgern, dass Lyrik und Lyriker weltweit keineswegs ein Schattendasein fristen müssen.
Im Internet lässt sich noch allerlei mehr entdecken: Da gibt es Lyrik-Portale, Lyrik-Telefone, Lyrik-Kabinette usw. Ein sogenanntes Lyrik-Archiv offeriert gar mehr als 2.000 „Gedichte zum Herunterladen“. Damit nicht genug: In einem arabischen Land gibt es zur Hauptsendezeit eine überaus erfolgreiche Fernsehsendung, vergleichbar etwa mit „Deutschland sucht den Superstar“, bei der das TV-Publikum den besten Lyriker des Landes küren kann.
Aber auch hierzulande – wir wissen es – erfreut sich Lyrik durchaus einer beachtenswerten Popularität. Schätzungsweise 30 große wie ganz kleine Verlage bedienen Jahr für Jahr den deutschsprachigen Buchmarkt mit neuen Lyrik-Bänden; eine ganze Reihe von Literaturzeitschriften bietet sich als Bühne für Lyriker an; in der FAZ weckt Marcel Reich-Ranicki Woche für Woche die Neugier für Gedichte aus allen Epochen. Und im nahen Darmstadt wird alle zwei Jahre zum Literarischen März geladen, bei dem Nachwuchs-Lyriker sich Jury und Publikum stellen und an dessen Ende die Verleihung des mittlerweile hochbegehrten Leonce- und Lena-Preises steht.

Und mit diesem Leonce- und Lena-Preis können wir die Brücke schlagen zum heutigen Abend. Denn der erste Preisträger dieser Auszeichnung war 1968 – vor vierzig Jahren also - Wolf Wondratschek. Verliehen wurde der Preis von dem damals in Darmstadt lebenden Wolfgang Weyrauch. Er hatte ein Gespür für Sprach-Talente. Wondratschek, 1943 im thüringischen Rudolstadt geboren, wurde für viele seiner Zeitgenossen zum literarischen Wegbegleiter. In der Schreibtradition eines Peter Handke beginnend, später als eine Art deutscher Verwandter von Charles Bukowski auftretend, führte uns Wolf Wondratschek Wünsche, Hoffnungen, Enttäuschungen gesellschaftlicher wie privater Natur einer ganzen Generation vor Augen und wurde – auch wenn der Begriff abgenutzt erscheint – zum Kultautor schlechthin. Heiner Lauterbach hat einmal – nach seinem Lieblingsautor befragt – Wolf Wondratschek in einem Atemzug mit Mark Twain genannt. Und wir alle, so nehme ich einmal an, sind gekommen, um zu überprüfen, ob Wondratschek uns einmal mehr den Blick auf uns selbst sowie das Tor zu unseren Erinnerungen öffnen kann.

Aber bevor Wolf Wondratschek Lyrik und Prosa lesen wird, ist ein Autor hier aus Groß-Gerau anzukündigen – Dittmar Werner, 1949 in Kassel-Niederzwehren geboren, im Hauptberuf Gymnasiallehrer an der hiesigen Prälat-Diehl-Schule. Ich kenne ihn noch aus Zeiten, da er im Darmstädter Bläschke Verlag seinen ersten Gedichtband veröffentlichte. Karl Krolow ermutigte ihn damals mit einer positiven Kritik, zielstrebig an sich und seinen Texten weiterzuarbeiten. Was er dann – bis hin zum Engagement in Kurt Drawerts Literaturwerkstatt – auch getan hat. Während Wondratschek in seinen Texten bisweilen unerbittliche Realität abzubilden versucht, ist Dittmar Werner eher ein Autor der sanften Töne, einer, der dem Leser Zugang zu Anderswelten möglich machen will.

Im Koran findet sich eine Sure, die da lautet: „Und die Dichter – es sind die Irrenden, die den Teufeln folgen. Hast du nicht gesehen, wie sie verwirrt in jedem Tal umherwandern und weise reden, was sie nicht tun“. Wir alle in diesem Raum können am heutigen Abend sicher beurteilen, ob dem so oder vielleicht doch ein wenig ganz anders ist.
Freuen wir uns also zunächst auf Dittmar Werner und anschließend auf Wolf Wondratschek.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

09.04.2008


Liebe Literatur-, liebe Lyrikfreunde,
herzlich willkommen bei unserer 2. Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“,

die im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, Kreisstadt und dem Wir-Magazin entstanden ist. Freuen dürfen wir uns heute Abend auf Ulla Hahn (auf unserem Foto rechts) und Tanja Leonhardt.
Erlauben Sie mir jedoch auch diesmal ein paar Worte vorab und quasi zum Einstieg in unsere Veranstaltungsreihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“. Sie kennen das sicher auch – Sie sind (zumeist samstags) wieder einmal zur Entspannung und zum Stöbern im Antiquariat gelandet. Sie suchen nichts Bestimmtes, hoffen aber dennoch, etwas zu finden. In meinem Falle Gedichtbände. Und es ist schon erstaunlich, wie oft man da fündig werden kann. Freude mal für mal, auch wenn die häuslichen Bücherregale überzuquellen drohen.

Aber so ist das mit den besonderen Leidenschaften – ab einem gewissen Punkt kann man nur schwerlich noch davon lassen. Dabei stellt sich im Bereich Lyrik zwangsläufig auch mir immer wieder die Frage: Wozu eigentlich Lyrik? Adorno meinte einst, nach Auschwitz sei Lyrik weder denkbar noch machbar. Was viele widerlegten. Von Nelly Sachs über Paul Celan, Rose Ausländer, Erich Fried, Hilde Domin und etliche andere.
Dennoch: die Frage nach dem Warum hat Dichter immer wieder beschäftigt. So hat z.B. Wolfgang Weyrauch - Lyrik-Freunde wissen es - in einem 64 Seiten dünnen Bändchen versucht, die Frage „Ein Gedicht – was ist das?“ zu beantworten. Von Bertolt Brecht gab es in der legendären edition suhrkamp einst Nachhaltiges zu lesen „Über Lyrik“. Walter Höllerer veröffentlichte 1968 nicht nur eine „Gedichte“ genannte Sammlung von Texten, sondern auch gleich dazu den Essay „Wie entsteht ein Gedicht“. Karl Krolow hat sich mit den „Aspekten zeitgenössischer deutscher Lyrik“ bei List ebenso beschäftigt wie Hilde Domin mit ihrer Streitschrift „Wozu Lyrik heute?“ bei Piper. Auch Otto Heinrich Kühner wählte 1983 bei Ullstein mit „Wozu noch Gedichte?“ einen ähnlichen Titel – lieferte darin dem interessierten Leser zwar keine Antworten, dafür aber 121 eigene Gedichte. Solle doch der Leser entscheiden. So auch heute Abend, wenn es um die Texte von zwei Autorinnen geht, die – wenn sie es vielleicht auch noch nicht wissen – etwas Besonderes verbindet. Doch dazu später.

Ulla Hahn, im Sauerland geboren, lebt und arbeitet heute in Hamburg. Sie hat Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie studiert, zum Thema „Operative Literatur in der BRD“ promoviert, war Lehrbeauftragte an diversen Universitäten, Literaturredakteurin bei Radio Bremen und ist mit Hamburgs ehemaligen Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi verheiratet. Mit einer ganzen Reihe von Buch-Veröffentlichungen – Lyriksammlungen wie Romanen – ist sie ins Bewusstsein von Kritik wie Leserschaft gerückt. Hermann Kinder hat sie im Rahmen einer Vorlesungsreihe an der Uni Konstanz gar als „die wohl bekannteste deutsche Dichterin der Gegenwart“ vorgestellt. Im Spiegel, in Bild am Sonntag, aber vor allem auch in den Feuilletons landauf landab werden ihre Wort- und Textmeldungen aufmerksam wie kritisch registriert. Im rheinländischen Monheim, wo Ulla Hahn aufwuchs, hat der Bürgermeister gar schon überlegt, ein „Ulla-Hahn-Haus für Kinder“ einzurichten. In Gymnasien republikweit gehören Interpretationen von Ulla Hahns Gedichten längst zum Unterrichtsstandard. Was sich auch auf zum Teil recht unterhaltsamen Internetseiten nachlesen lässt. Dort finden sich solch zwingende  Schüler-Sätze wie: „Ulla Hahn schreibt dieses Gedicht mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Sichtweise einer Frau, möglicherweise aus ihrer Position“. Oder: „Bei Ulla Hahn haben wir slanghaft-umgangssprachlich die Erlösung des reimenden und strophisch und metaphorisch vorwärts dichtenden Weibes aus den Klauen der Zwangslyrik mit ihren geschlechtstypischen Gefühls-Mustern für Männlein und Weiblein“. Das kann, muss und wird man selbst sicher ein wenig anders sehen. Aber daraus könnte durchaus mal ein Literaturkritiker werden. Und ein solcher spielte im Leben der Autorin eine besondere Rolle – Marcel Reich-Ranicki. Er war es, der die 1981 mit dem Gedichtbändchen „Herz über Kopf“ debütierende Jung-Lyrikerin über Nacht mit einer ganzseitigen, überschwänglichen Kritik in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bundesweit bekannt machte.

Ich freue mich ganz besonders, dass Ulla Hahn, der ich erstmals 1982 in der Villa Massimo in Rom begegnete, heute Gast in der Kreisstadt ist. Aber bevor Ulla Hahn uns mitnimmt auf ihre Reise durch die Poesie, ist eine Künstlerin und Autorin hier aus Groß-Gerau anzukündigen – Tanja Leonhardt. Sie hat an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz studiert, dort ihr Diplom im Hauptfach Schriftkunst erworben und ist seitdem als freischaffende Kalligrafin mit eigenem Atelier in der Kreisstadt tätig. Und genau hier gibt es die Verbindung zu Ulla Hahn. Genauer: die zu Marcel Reich-Ranicki. 2002 erhielt Marcel Reich-Ranicki in der Paulskirche den Goethepreis der Stadt Frankfurt. Und die Urkunde dazu stammt - aus der Feder der Kalligrafin Tanja Leonhardt. Auch die Gestaltung des Programms zu dieser Veranstaltungsreihe, dessen Titelseite ein Gedicht von Paul Celan schmückt, lag bei Tanja Leonhardt, einer vielfach talentierten Künstlerin. Doch heute Abend werden wird auch Etliches von ihr zu hören bekommen, Texte aus ihren beiden Künstlerbüchern „Über all meinem Erzählen“ und „gefroren“.

Freuen wir uns also - zunächst auf Ulla Hahn und anschließend auf Texte von Tanja Leonhardt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Liebe Literaturfreunde,
herzlich willkommen bei unserer 3. Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“,

die im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, Kreisstadt und dem Wir-Magazin entstanden ist. Freuen dürfen wir uns heute Abend auf Volker Braun (auf unserem Foto links) und Herbert Friedmann (auf unserem Foto zweiter von rechts); beide angereist aus Berlin.
Erlauben Sie mir auch diesmal ein paar einleitende Worte vor dem Hintergrund dessen, was Sie alle seit Tagen in den Medien verfolgen können. Ich meine zum einen die weltweite Finanzkrise mit ihren nach wie vor kaum absehbaren Folgen für jeden einzelnen von uns. Ich meine aber auch jene dank Marcel Reich-Ranicki in Gang gesetzte Diskussion darüber, auf welchem Niveau sich (nicht nur im Fernsehen) die uns von Medienmachern vermittelte Wahrnehmung unserer Gesellschaft abspielt.

Was hat das mit der heutigen Veranstaltung zu tun, mögen Sie sich fragen. Ich denke, doch sehr viel. Denn, wenn in lokalen und regionalen Medien (auch hier bei uns) in Verse gefasste Reden von (ich übernehme den Begriff wörtlich aus der Tagespresse) „Kerbevaddern“ mehr Beachtung finden als z.B. literarische Veranstaltungen (wie etwa diese) oder Musikabende, Kunstausstellungen udglm., dann scheint es an der Zeit, darüber zu reden. Vielleicht auch im Anschluss an diese Veranstaltung, wenn wir in lockerer Runde noch beisammen sein wollen.

Das, was die beiden Gäste des heutigen Abends gleich vortragen, wird uns sicher dabei helfen Niveau-Fragen zu klären.
Doch zunächst darf ich mit der Vorstellung von Volker Braun beginnen. Ich könnte Ihnen nun erzählen, was auf nahezu jedem Klappentext oder im Internet nachlesbar ist: also, u.a. Jahrgang 1939, in Dresden geboren, Tiefbauarbeiter im Kombinat „Schwarze Pumpe“, Studium der Philosophie in Leipzig, zahlreiche Auszeichnungen vom Heinrich-Heine-Preis des Ministeriums für Kultur der DDR über den Hans-Erich-Nossack-Preis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft BDI bis hin zum Georg-Büchner-Preis; dazwischen Brüder-Grimm-Professur in Kassel, Gast der Villa Massimo in Rom usw. usw. Überdies ist zu lesen: ehemals DDR-Autor. Doch spätestens mit diesem Etikett „DDR-Autor“ beginnen meine Probleme. Lassen Sie mich erklären. Es gab eine Zeit, in der Schriftsteller, Autoren mit DDR-Hintergrund in der Bundesrepublik besondere Beachtung fanden. Journalisten, auch ich, versuchten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Was nicht immer einfach war. Ich hatte das Glück, beim Interview einige dieser Autoren – wenn auch nur ein wenig – näher kennenzulernen. Zu erfahren – jenseits ihrer Bücher -, wie sie denken, wie sie sich geben, welche Erfahrungen sie in und mit der DDR gemacht, welche Ausstrahlung sie haben usw. Die kleine Liste reichte damals von Sarah Kirsch über Ulrich Plenzdorf, Hermann Kant, Helga Königsdorf, Erich Loest, Friedrich Schorlemmer bis hin zu Reiner Kunze, Günther de Bruyn und Kurt Drawert. Auch Volker Braun stand – neben Christa Wolf – auf meiner Wunschliste. Es war damals der Versuch, mit einem der bekanntesten DDR-Autoren (der hier bei uns im Suhrkamp-Programm zu finden war) ins Gespräch zu kommen. Vielleicht zu verstehen, was das möglicherweise Trennende und vor allem was (außer der Sprache) das Verbindende sein könnte. Später – nach der Wende - erfuhr ich manches über die Seelenlage der Menschen in Sachsen, Thüringen und drumherum von einem Freund, der bis zuletzt als Chefredakteur des Leipziger Börsenblatts für den Deutschen Buchhandel wirkte.

Doch zurück zu Volker Braun. Freunde hatten mir erzählt, dass er Verwandte in Darmstadt, wo mein Büro war, habe. Wir korrespondierten, ich glaube auch, dass wir einmal miteinander telefonierten – aber ein Interviewtermin kam nicht zustande. Umso mehr freue es mich heute, dass Volker Braun nach Groß-Gerau gekommen ist und uns mit seiner Lesung etwas von dem nahebringen wird, was ich damals kurz nach der Wende suchte: Erklärungen, Zustandsbeschreibungen. Kurzum: all das, was er mir seinerzeit sicher erzählt hätte – wenn eine Begegnung zustande gekommen wäre.

Viel einfacher fällt mir die Annäherung zum zweiten Autor dieses Abends, zu Herbert Friedmann: Jahrgang 1951, hier geboren, Lehre als Einzelhandelskaufmann, seit 1977 freiberuflicher Schriftsteller, ausgezeichnet u.a. mit dem Hans-im-Glück-Preis; ca. 80 Buchveröffentlichungen.

Wenn ich es recht bedenke, so waren wir schon immer so etwas wie Nachbarn. Damals, als er anfing zu schreiben in einer Gemeinde, die heute zur Kreisstadt zählt und aus der auch meine Frau stammt. Später in Darmstadt, wohin er Wohnsitz und Wirkungsstätte verlegte und wo wir uns des Öfteren nicht nur beim Literaturstammtisch trafen. Schließlich im Odenwald, wo wir nur ein paar Kilometer voneinander entfernt arbeiteten. In Brensbach betreute er u.a. das Programm einer Kleinkunstbühne und wohnte im Ortsteil Wersau. Jenes kleine Wersau, das damals allerdings (noch) nicht in die Schlagzeilen geriet, weil dort ein Autor wohnte, der bereits einige Preise erhalten und mehr als sechs Dutzend Buchveröffentlichungen vorzuweisen hatte. Jenes Wersau, über das erst heute jeder Sportbegeisterte Bescheid zu wissen glaubt, weil von dort ein junger Mann stammt, der gelernt hat, auf den Rennpisten dieser Welt erstaunlich schnell ich Kreis zu fahren – Formel-1-Fahrer Timo Glock. Was einmal mehr zeigen mag, welch schweren Stand Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung in diesem Lande hat.
Doch all die unverbesserlichen Optimisten lassen sich auch davon nicht schrecken. Und genau deshalb gibt es eine Veranstaltungsreihe wie diese. Freuen wir uns also auf den Leseabend, den Volker Braun eröffnen wird.

W. Christian Schmitt, 15.10.2008


Liebe Literaturfreunde,
herzlich willkommen zu unserer 4. Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“,

die im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, Kreisstadt und dem Wir-Magazin entstanden ist. Freuen dürfen wir uns heute Abend auf Texte von Silke Scheuermann (auf unserem Foto rechts) und Anette Welp. Dabei werden – wie heute Morgen bei der Frühstückslektüre auch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu entnehmen war –Frau Scheuermann aus „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“ und Frau Welp „eigene Prosa- und Lyriktexte“ lesen.

Literatur-, Lyrikabende wie dieser bieten Gelegenheit, Rückschau zu halten, Gehörtes mit dem zu vergleichen, was man selbst erlebt oder erträumt hat, woran man sich erinnert, was im bisherigen Leben vielleicht wesentlich war.
Diese Gelegenheit zur Rückschau oder Besinnung ergab sich unlängst und eher ungeplant während eines kurzen Krankenhaus-Aufenthalts. Dabei geht einem – nachdem man den MRT (Magnet-Resonanz-Tomographen) über sich ergehen lassen durfte - nicht nur durch den Kopf, ob bzw. was man Ihnen zur Einleitung dieses Abends sagen sollte. Man fragt sich auch und zunächst, was dieser Abend an Erfreulichem, Ermutigendem, an Inspirierendem bringen könnte. Vielleicht sind Sie mit einer ähnlichen Erwartung heute Abend hierher gekommen.
Doch fangen wir besser an mit der Vorstellung der beiden Hauptakteure dieses Abends – mit Silke Scheuermann und Anette Welp.

Silke Scheuermann, Jahrgang 1973, in Karlsruhe geboren und im Rhein-Main-Gebiet (also sagen wir einfach: hier bei uns) zuhause, ist das, was man in der Show-Branche einen Shootingstar nennen würde. Ein Sprachtalent, ein Gesicht, eine Stimme, die sich einprägen. Dies seit sie 2001 mit dem Leonce- und Lena-Preis ausgezeichnet worden ist, der – von Wolfgang Weyrauch einst ins Leben gerufen - das Maß aller Dinge für Jung-Lyriker ist. Kritiker haben sich über Silke Scheuermann – die in Frankfurt, Leipzig und Paris Theater- und Literaturwissenschaften studierte - z.T. äußerst überschwänglich lobend geäußert. So etwa Joachim Sartorius, der in der Süddeutschen Zeitung über ihren Buch-Erstling „Der Tag an dem die Möven zweistimmig sangen“ schrieb: dies sei „wohl das erfolgreichste Debüt einer neuen lyrischen Stimme in den letzten Jahren“. Mir in Erinnerung geblieben ist ein Text von Silke Scheuermann, der in ihrem 2004 bei Suhrkamp erschienenen Gedichtband „Der zärtlichste Punkt im All“ zu finden ist. Dort heißt es:

„Es ist alles perfekt, wenn ich zum Fenster hinausschaue: Die gerade im Geschehen begriffene Zeit, wie sie unter Sonneneinstrahlung verdunstet, die Blumen, die sagen, sie hätten lieber den Regen als den Schnee, die noch klügeren Blüten im Apfelbaum, sie kommen wortlos ans Licht. Selbst jemand, der jahrelang einen endlosen Engelsschal strickte wie Großmutter, ist nicht gestorben“.

Ganz aktuell: in drei Tagen, also direkt zu Nikolaus, erhält Silke Scheuermann in Wiesbaden den George-Konell-Preis. Zur Erklärung: dies ist ein für hessische Autoren bestimmter Preis, den bislang u.a. die vielfach preisgekrönte Jugendbuchautorin Gudrun Pausewang aus Schlitz und die Erzählerin Katja Behrens aus Darmstadt erhalten haben. So viel zur Einstimmung auf Silke Scheuermann.

Zu Anette Welp fällt es (mir) schon etwas schwerer, ein paar wenige Sätze zu sagen. Sicher auch deshalb, weil man hier im Gerauer Land bereits zu viel über sie weiß. Noch genauer, weil man regelmäßig in ihrer Wir-Magazin-Kolumne „Aus Frauensicht“ nachlesen kann, wie es um ihr jeweils augenblickliches Seelenleben bestellt ist, was sie von Männern, Frauen, Familie, dem Zusammenleben und unser aller Alltag hält. Neben den üblichen Angaben wie Jahrgang 1963, Studium der Germanistik, Bibliothekswissenschaften und Pädagogik in Köln und Wohnort Trebur vielleicht doch ein paar Worte dazu, wie auch ich auf die Autorin Anette Welp aufmerksam wurde. Um genau zu sein: Ein Lyriker aus Groß-Gerau hat sie mir weiterempfohlen. Man könnte, sollte, müsste diese Autorin doch einmal im Wir-Magazin vorstellen. Was mit den bereits beschriebenen Folgewirkungen geschehen ist.

Auch von Anette Welp ein paar Zeilen aus ihrem „Männer“ überschriebenen Text, erschienen 2000 in dem Band „Ex und hopp – Liebesspiel und Mordeslust“: Zitat

Ich will keine
schlafenden Wölfe
wecken
in ihren so geordneten
Träumen stören
keine Illusionen gebären
sie tanzen lassen
mit mir
-auf Zeit-…

Heute Abend nun werden wir – so nehme ich einmal an – von den beiden Autorinnen die Vielfalt unserer jeweiligen Wirklichkeit, unseres Alltag sowie die Skala unserer Emotionen aus Frauensicht aufgezeigt bekommen. Freuen wir uns darauf und beginnen mit Silke Scheuermann.
Besten Dank.

W. Christian Schmitt, 03.12.2008


Sehr verehrte Gäste, liebe Literaturfreunde, herzlich willkommen zur bereits 5. Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“.

Sie ist entstanden im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, Kreisstadt-Bürgermeister Stefan Sauer als Schirmherr und dem Wir-Magazin. Freuen dürfen wir uns heute Abend auf Texte von Guntram Vesper und Wolfgang Fenske (der im Leseduett mit Ute Ehrenfels auftreten wird).

Erlauben Sie mir ein paar ganz persönliche Anmerkungen zu den Autoren des Abends. „Guntram Vespers Prosastücke“, so der Klappentext zu dem seinerzeit bei Hanser erschienenen Bändchen „Kriegerdenkmal ganz hinten“, „beschreiben Zustände und erzählen Geschichten aus dem Leben auf dem Lande. Literarische und subliterarische Bruchstücke ergeben eine neue Wirklichkeit aus Vorurteilen, Halluzinationen und Halbwahrheiten, mit denen Vesper indirekt sein gesellschaftskritisches Urteil ausspricht“. Das war 1970 - damals, als wir noch Jungen und Ungestümen das Gefühl hatten, in und mit dieser Republik werde, würde, müsste sich einiges grundlegend verändern. Und Vespers „Kriegerdenkmal ganz hinten“ war – aus heutiger Sicht betrachtet – für mich und etliche anderer meiner Generation eines jener wichtigen Bücher zur richtigen Zeit. Ich wollte mehr wissen von diesem und über diesen Autor und besuchte ihn, 1972, im Rahmen einer Serie über „Junge Autoren“, die ich für die Hannoversche Allgemeine Zeitung schreiben durfte. Und weil manches von dem, was damals dort an Einschätzung wie Wertschätzung zu lesen war, die Jahre offenbar gut überstanden hat, will ich ein paar Absätze daraus zitieren:

„Ich hatte ihn aufgesucht, ein wenig auch ausgefragt, ihn und mich festgelegt. Folgendermaßen: Guntram Vesper, ein Grenzüberschreiter von Deutschland nach Deutschland, gleich Uwe Johnson, Peter Jokostra, Horst Bienek und etlichen anderen, wohnhaft am Ende einer Neubausiedlung ganz hinten, vom Wald nur einen Steinwurf entfernt, hat lange gebraucht, sich mit den hiesigen Wirklichkeiten zurechtzufinden. Vesper, 1941 in Sachsen geboren, in der DDR aufgewachsen, wechselte 1957 in die Bundesrepublik (Vesper: „ich hatte eine generelle Antistellung gegenüber der sozialistischen Gesellschaft; wie irrational das war, zeigt sich zum Beispiel daran, dass ich es ablehnte, Puschkin oder Tolstoj zu lesen“). Der Wechsel in die Bundesrepublik war für Vesper ein Abenteuer, „wie eine Expedition in ein Land, von dem man nur Gutes gehört hatte“. Vesper, aufgewachsen in einer „kleinbürgerlichen bis bürgerlichen Großfamilie“, vermisste lange Zeit den gewohnten Kontakt zu Land und Leuten. Abgeschnitten von seiner Jugend, seinem heimatlichen Hinterland, lebte er hier „ein paar Jahre wie in Trance“…

Und an anderer Stelle des Werkstattberichts hieß es: „In seinem Arbeitszimmer in Göttingen-Geismar, hoch droben auf dem Hügel, sind Pläne, Aufträge, Projekte ans Schwarze Brett gepinnt. Der Blick aus dem Fenster ist zufällig. Vesper schiebt das Spinnrad zur Seite, groß gerahmte Bilder haben unter Glas ein Stück ländliche Atmosphäre eingefangen. Gruppenbild mit Oma vor elterlichem Bauernhaus. Im Bücherregal steht Eugen Kogons „Der SS-Staat“ kopf; Rosa Luxemburgs Konterfei strahlt rötlich von der Wand, und Guntram Vesper sagt: „Ich bin ein Autor, der ganz bewusst aufklärend, bewußtmachend tätig ist…“.

Soweit mein Blick zurück auf das, was Guntram Vesper 1972 von sich und über sich preisgeben wollte. Es folgten für ihn Jahre der Kreativität, in denen noch viel mehr über ihn zu erfahren war. Dies in rund drei Dutzend Büchern, zahlreichen Beiträgen in Anthologien, im Rahmen von Auszeichnungen, Preisverleihungen, Ehrungen in kaum noch überschaubarer Zahl. Und natürlich auch in seinen Lyrikbänden. Über die beim Fischer-Verlag erschienene Sammlung „Frohburg“ schrieb Sibylle Cramer in der Frankfurter Rundschau geradezu euphorisch: „Vespers Gedichte gehören zum Besten, was die zeitgenössische deutschsprachige Lyrik zu bieten hat“.
All dies mag an dieser Stelle ausreichen, um ein wenig neugierig gemacht zu haben auf das, was Guntram Vesper uns heute Abend sicher an Lesevergnügen bereiten wird.

Vergessen werden soll aber bei all dem natürlich nicht der zweite Autor dieses Abends. Er ist in Brasilien geboren, hat in Groß-Gerau Abitur gemacht, in Wuppertal und Heidelberg ev. Theologie studiert, promoviert, sich habilitiert, ist Privatdozent in München, Pfarrer im Ehrenamt in Nauheim, hält Vorträge, ist Trauerredner, Autor für Lebenserinnerungen usw. usw. Die Rede ist von Dr. Wolfgang Fenske, wohnhaft in Nauheim, der – keine Sorge, er wird keine Predigt halten - aus seinem gerade erst erschienenen Gedichtband „Augenblick“ lesen wird. Dies im bereits erprobten Wechsel (während der vorjährigen „Nacht der Sinne“ in der Kreisstadt) mit der in Groß-Gerau beheimateten Schauspielerin Ute Ehrenfels. Sie hat man u.a. schon im Frankfurter Volkstheater, aber auch in TV-Krimis wie „Ein Fall für zwei“ und „Tatort“ sehen, hören und erleben können. Freuen wir uns also auf einen unterhaltsamen Abend.

W. Christian Schmitt, 22. April 2009


Liebe Literaturfreunde, herzlich willkommen zur bereits 6. Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“.

Sie ist entstanden im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, dem Kreisstadt-Bürgermeister und dem Wir-Magazin. Freuen dürfen wir uns heute Abend auf Texte von Ludwig Fels und Ralf Schwob.

„Komm doch mal vorbei“, hat er am Telefon gesagt. Und dann bin ich vor Ort, habe die Straße gefunden. Im Treppenhaus riecht es nach Eintopf. Die verschiedenen Gewürze kann man auch fast schon auf der Zunge schmecken. Ich gehe der Nase nach. Doch ehe das Ziel erreicht ist, steht Ludwig in der Tür…“ So liest sich eine Passage in einem Artikel, den (zunächst) die Hannoversche Allgemeine Zeitung Anfang der 70er Jahre innerhalb der Serie „Zu Besuch bei jungen Autoren“ veröffentlichte und der später Aufnahme in dem Werkstattband „Die Buchstaben-Millionäre – Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen mit 40 Schriftstellern“ gefunden hat.

Und weiter heißt es da: „Von der langen Haarpracht des zornigen jungen Mannes von einst ist nichts mehr geblieben. Von vorne und von der Seite ist er fast der brave Typ, den Schwiegermütter sich bekanntlich wünschen...“.
Die Rede ist von Ludwig Fels, 1946 in Treuchtlingen geboren, der als Malerlehrling begann, mit Schreiben aus dem sozialen Getto auszubrechen versuchte, der von Lektor Klaus Roehler für den Luchterhand-Verlag (und damit die literarische Welt) entdeckt und der mit einer Vielzahl von Preisen und Stipendien (u.a. mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis sowie Elias-Canetti-Stipendium) ausgezeichnet wurde; Autor von Gedichten, Erzählungen, Romanen, Hörspielen und Theaterstücken. Mehr noch: seine im Internet veröffentlichte Vita weist unter „Stationen“ zudem darauf hin, dass er – zu welcher Zeit auch immer - „Barbesitzer in der Türkei“ war.

Zu der Zeit hatten wir allerdings keinen Kontakt. Wir begegneten uns erstmals wohl 1969 bei einem Treffen junger Autoren in Selb, an dem u.a. auch Fitzgerald Kusz, Katrine von Hutten, Benno Käsmayr und Günter Guben teilnahmen. Ein Meinungs-, ein Erfahrungsaustauch in einer Zeit, als die SPD noch als fortschrittlich und die CDU als spießig galt. Zumindest bei uns Jungen, Ungestümen. Es war die Zeit, da Politiker noch Visionen hatten, wie es mit diesem Lande und seinen Menschen in Zukunft einmal bestellt sein sollte und die nicht ellenlang darüber stritten, ob im Grundgesetz dem hemmungslosen Schuldenmachen, das Visionen gar nicht mehr zulässt, ein Riegel vorgesetzt werden sollte.
Wir waren jung, voller Ideale und wollten diese, unsere Welt verändern und merkten doch rasch, dass wir damit zunächst einmal bei uns selbst anfangen müssten. Das war schwerer als zunächst gedacht. Die Reise zu uns selbst begann mit einfach klingenden Fragen: Wer sind wir? Was wollen wir? Was können wir? Etwas später auch: was können wir nicht? Wie ehrlich sind wir zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen? Je mehr Antworten wir fanden, umso mehr neue Fragen tauchten auf. Wir merkten, dass wir nur über zunächst schmerzlich erscheinende Kompromisse ein wenig von dem erreichen konnten, was Teil unserer Utopie war: Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit (was auch immer wir damals darunter verstanden) sowie Freiheit, möglichst grenzenlose. Und Autoren unserer Generation erzählten uns und dem Rest der Republik von diesen Träumen und dem Scheitern.

Es war die Zeit der Aufbrüche, auch der literarischen. Als Kritiker, also Vorleser, die sich mit ihrer subjektiven Meinung zu Wort melden, noch ein Gespür für gesellschaftlich notwendigen Wandel hatten und nicht Saison für Saison eine literarische Sternschnuppe zum Jahrhundertkometen hochzustilisieren versuchen.
Es war eine durchaus von Optimismus geprägte Lebensphase, in der noch nahezu alles möglich schien. Z.B. auch, dass ein junger Autor aus der sog. Arbeiterklasse, wie es damals hieß, mit seinen Texten ungewöhnliche Erfolge feierte.
Diese Zeiten fallen allerdings unter das Kapitel Erfahrungen oder besser: Nostalgie, ganz nach Belieben. Und sie zu verarbeiten, ist Aufgabe von Schriftstellern. Aber schauen wir nicht nur zurück, sondern handhaben es wie damals – blicken wir nach vorn. Seien wir also gespannt und freuen uns auf das, was Ludwig Fels uns aus dem Hier und Jetzt heute gleich zu erzählen hat.

Vergessen werden darf allerdings auch nicht der zweite Autor dieses Abends – Ralf Schwob, ein gebürtiger Groß-Gerauer, der heute in Riedstadt zuhause ist. Schwob, Jahrgang 1966, mag die Zeit und ihre Probleme, von denen eingangs die Rede war, nur vom Hörensagen kennen. Für ihn, der in Mainz Germanistik studierte, u.a. auch als Lektor und Redakteur gearbeitet hat und heute als Buchhändler tätig ist, sind andere Themenfelder von Bedeutung. Debütiert hat er – nach der Veröffentlichung einiger Texte in Anthologien und Zeitschriften – 2003 mit dem Roman „Geschlossene Station“, der Innenansichten einer psychiatrischen Klinik liefert. Mit einer Reihe von Kurzgeschichten sowie literarischen Auszeichnungen und Förderpreisen ist er in den vergangenen Jahren mehrfach in Erscheinung getreten. Ralf Schwob zählt zu den noch jungen Autoren, den Schreibtalenten im Ge Arauer Land, denen auch mit einer Veranstaltung wie dieser eine noch größere Lese-Öffentlichkeit ermöglicht werden soll.
Ich danke Ihnen für Ihreufmerksamkeit und wünsche einen nachhaltig wirkenden Leseabend.

W. Christian Schmitt, 17. Juni 2009


Dichterlesungen Oktober 2009

Bei der 7. Dichterlesung mit dabei (v.l.): Voba-Vorstand Jörg Lindemann, die Autoren Klaus-Peter Sawinski und Gert Heidenreich sowie Initiator und Moderator W. Christian Schmitt

Liebe Literaturfreunde, herzlich willkommen zur bereits 7. und vorletzten Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“. Sie ist entstanden im Zusammenwirken von Groß-Gerauer Volksbank, dem Kreisstadt-Bürgermeister und dem WIR-Magazin. Freuen dürfen wir uns heute Abend auf Texte von Gert Heidenreich und Klaus-Peter Sawinski.
Nach den einleitenden Worten von Vorstandsmitglied Jörg Lindemann – wie gewohnt an dieser Stelle – auch ein paar Sätze von mir zu den Autoren. Warum gerade sie hier lesen, was mich mit ihnen verbindet, was ich an ihnen schätze.
Gert Heidenreich ist einer von rund 1.000 Autoren, denen die erwarteten 300.000 Besucher der Frankfurter Buchmesse - wenn sie Glück haben – zwischen schätzungsweise 400.000 ausgestellten Büchern an einem der mehr als 7.000 Stände oder bei einer der rund 2.600 Veranstaltungen (bis Sonntag) werden begegnen können. Wir haben es heute Abend hier etwas komfortabler – Gert Heidenreich kommt zu uns, quasi in die gute Stube der Volksbank. Aus Oberbayern, wo er heute lebt, nach Groß-Gerau.
Ich erinnere mich an eine Zeit, da Gert Heidenreich Präsident des PEN-Zentrums war, in dem – zumindest seinerzeit – noch alle maßgeblichen Schriftsteller vertreten waren. Das liegt wohl gut 15 Jahre zurück. Und da der PEN – u.a. neben der Akademie für Sprache und Dichtung – seinen Sitz in Darmstadt hatte, war es naheliegend, dass man sich begegnete. Zu Veranstaltungen, Interviews, auch bei einer Talkreihe, die von der VHS Darmstadt veranstaltet wurde und die den schlichten Titel trug: „Gesprächsbereit. Plaudereien über Kulturimpulse in und aus Darmstadt“. In dem Gespräch damals mit Gert Heidenreich ging es einzig um das PEN-Zentrum und die besondere Beziehung des Präsidenten zu Darmstadt, wo er einst am Ludwig-Georgs-Gymnasium sein Abitur ablegte.
Wer heute mit Gert Heidenreich ein Gespräch führen wollte, hätte viele Felder mehr, zu denen er Fragen stellte könnte. Zu Gert Heidenreich, dem Romancier, dem Dramatiker, dem Lyriker, dem Essayisten, dem Journalisten, dem Übersetzer, dem Kritiker, dem Sprecher für Rundfunkanstalten, TV-Sender und Hörbuchverlage usw. usw.
Wer sich im Internet seine Website betrachtet, kommt aus dem Stauen kaum mehr heraus. Gibt es etwas, was dieser Mann nicht kann? Über Thomas Gottschalk hat er eine Biografie veröffentlicht, bei der Deutschen Verlagsanstalt ist der (von mir sehr geschätzte) Band „Der Mann, der nicht ankommen konnte“ erschienen, in Weimar war Heidenreich u.a. Rede-Teilnehmer der von Bertelsmann veranstalteten Reihe „Reden über Deutschland und Europa“. Die Liste all seiner Bücher (auch der vielen Hörbücher), seiner Auftritte, seiner Auszeichnungen (zuletzt 2007 Gastprofessor an der Berliner Universität der Künste) zu nennen, wäre so umfangreich, dass kaum noch Zeit bliebe für das, worauf wir heute Abend alle gespannt sind – Gert Heidenreich zu hören. Im Internet gibt es eine speziell dazu passende Äußerung eines offensichtlichen Fans: „Ich kenne bisher nur seine Stimme als Sprecher in Dokumentationen“, liest man da, „diese Stimme hat mich schon immer begeistert. Absolut einmalig und unverwechselbar“. Genau so ergeht es auch mir immer wieder, wenn ich mir Fernsehdokumentationen anschaue und mir schon nach kurzer Zeit meine Frau die Frage stellt: Ist das nicht Gert Heidenreich?
Er ist es, egal ob Sie ARD, ZDF, arte oder sonst einen Sender einschalten. Seine Theater-Stimme ist aus 1.000 anderen herauszuhören. Das wissen seine Zuhörer zu schätzen, egal ob sie ihm bei Autorenlesungen (via Deutsches Goethe-Institut) in Ägypten, Polen, Russland, Japan, Israel, den USA oder anderswo begegnen. Der Blick in seinen Lesekalender 2009 zeigt die aktuellen Stationen. Sie reichen u.a. von Leipzig über Paris, Frankfurt, Braunschweig bis – nach Groß-Gerau. Freuen wir uns also gleich auf ein Hörerlebnis mit Gert Heidenreich, der aus seinem neuen Krimi „Das Fest der Fliegen“ lesen wird.
Vergessen werden darf bei der Vorstellung allerdings auch nicht der zweite Autor dieses Abends, Klaus-Peter Sawinski, im Harz geboren, in Hamburg aufgewachsen, seit geraumer Zeit hier in der Region, in Worfelden zuhause. Der promovierte Chemiker, früher in der sog. Freien Wirtschaft tätig, heute Naturwissenschaften Unterrichtender an einer Gesamtschule, gehört mit zum nicht kleinen Kreis der Bücher schreibenden Lehrer, denen man im Literaturbetrieb allüberall begegnen kann – von Walter Kempowski über Gabriele Wohmann, Ernst Jandl, Willi Fährmann, Heinrich Pleticha bis hin zu Friederike Mayröcker oder (hier aus Groß-Gerau) Dittmar Werner. Sawinski, als Jugendsprecher zudem Mitglied im Landesteam des Kreuzbunds Hessen, hat mit bislang zwei Bücherveröffentlichungen („Einstieg in den Ausstieg“ und „Unterschrittene Grenzen – Versuch der kleinen Gefühle“) auf sich aufmerksam gemacht. Über sich selbst gibt er nur begrenzt gerne Auskunft. Auf die Frage, warum er schreibe, hat er einmal geantwortet: „Um meine Gedanken zu sortieren“. Nach seiner Biografie gefragt, fiel seine Antwort kurz und knapp aus: „Lang und eigentlich uninteressant, außer, dass ich noch lebe“. Dennoch: zu seinen Lieblingsautoren zählt er Kafka, Hesse, Heidegger, Eco, Grass, Tolkien „und viele mehr“. Freuen wir uns darauf, was Klaus-Peter Sawinski heute Abend vielleicht doch noch über sich und sein Schreiben preisgibt.


Dichterlesungen Dezember 2009

Aufhören, wenn es am schönsten ist. Zum Erfolg der 8. und letzten „Dichterlesung in der Kreisstadt“ trugen bei (v.l.): Volksbank-Vorstand Jörg Lindemann, Moderator W. Christian Schmitt, Gitarristin Katrin Zurborg, Autorin Barbara Maria Kloos, Sängerin Verena Henniger, Buchhändlerin Meta Calliebe, Organisatorin Anna-Maria Feuerstein und Liedermacher Hans-Werner Brun

Liebe Literaturfreunde, herzlich willkommen zur Abschluss-Veranstaltung unserer Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“. Ich bitte um Verständnis, wenn – wie gewohnt an dieser Stelle – heute die Vorstellung unserer beiden Autoren des Abends etwas kürzer ausfällt. Aber es erscheint angebracht, nach acht eher etwas ungewöhnlichen (oder soll ich sagen: für die Kreisstadt ungewohnten) literarischen Abenden eine Bilanz zu ziehen.
Fragen sind erlaubt. Was haben diese Dichterlesungen in der Kreisstadt uns allen gebracht? Für mich einmal mehr die Erkenntnis: Nicht scheint unmöglich – es sei denn, man versucht es erst gar nicht. Vielleicht ist mit dieser Veranstaltungsreihe überdies gelungen, den Kulturbegriff oder besser: das, was man Interessierten in der Kreisstadt anbieten könnte oder gar sollte, ein wenig zu erweitern. Ich glaube, der Versuch „Dichterlesungen in der Kreisstadt“ anzubieten, hat sich gelohnt. Offenbar muss man nicht unbedingt mehr in sog. Kulturmetropolen wie vielleicht Darmstadt oder Frankfurt reisen, um eine besondere literarische Kost serviert zu bekommen. Die Groß-Gerauer Volksbank hat es möglich gemacht. Und das WIR-Magazin (ohnehin im Volksbank-Slogan „Wir im Gerauer Land“ offenbar stets mit präsent) war als Mitveranstalter gerne mit dabei. Die Veranstaltungsreihe hat gezeigt, dass sich auch in der Kreisstadt Groß-Gerau zwischen 80 und 130 Literaturinteressierte zu einem Abend wie diesem motivieren lassen, um Schriftsteller einmal hautnah zu erleben.
Vielleicht geht es Ihnen ähnlich: Ich zumindest denke gerne zurück an wohl noch einige Zeit in Erinnerung bleibende Abende mit Wolf Wondratschek, Volker Braun, Gert Heidenreich, Ludwig Fels, Guntram Vesper, Ulla Hahn und Silke Scheuermann. Aber auch an die Auftritte unserer Autoren hier aus der Region, an Dittmar Werner, Tanja Leonhardt, Herbert Friedmann, Anette Welp, Wolfgang Fenske, Ralf Schwob und Klaus-Peter Sawinski.
Dies alles wäre ohne tatkräftige und finanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen. Deshalb an dieser Stelle noch einmal mein herzlicher Dank an den Vorstand der Groß-Gerauer Volksbank, insbesondere Herrn Lindemann, der die meisten Abende mit Worten eröffnete, die zeigten, dass auch Banker nicht nur – wie gelegentlich etwas vorschnell festgestellt – Zahlen im Kopf, sondern durchaus ein großes Herz für Literatur haben können. Dank zudem an den Schirmherrn Bürgermeister Stefan Sauer, an die Autoren und natürlich an Sie alle, unser literaturinteressiertes Publikum. Dank an dieser Stelle aber auch an Frau Feuerstein, die überaus einfühlsam all unsere Autoren betreute und die Presse jeweils so nett mit Informationen versorgt hat. Und nicht zu vergessen die Buchhandlung Calliebe, die mit ihrem Büchertisch unseren Besuchern jeweils die Möglichkeit geboten hat, Gehörtes in Buchform mit nachhause zu nehmen.
So. Und nun kürzer als üblich ein paar Worte auch von mir zu den Akteuren des Abends. Zunächst zu Barbara Maria Kloos, die ja versprochen hat, dass es heute kein „idyllischer Adventsabend“ werden wird. Sie ist mir aus meiner „Darmstädter Zeit“ noch in Erinnerung. Begegnet sind wird uns u.a. 1988 bei einem „Werkstattgespräch“, das ich seinerzeit im Auftrag des Darmstädter Echos mit ihr führen durfte. Ich erinnere mich an eine junge Frau, die sich – zumindest literarisch – über Konventionen jener Zeit hinwegzusetzen versuchte.
In einem Beitrag im Feuilleton des Darmstädter Echos stand damals u.a. dies: „‘Barbara Maria Kloos gehört zu der Generation junger Lyriker um dreißig, die sich ebenso selbstverständlich der modernen Alltagssprache wie traditioneller Versformen bedienen…von bissigen Schmähtexten bis zu zärtlichem Bettgeflüster reicht die Palette der jungen Autorin, die dem allzu wehleidigen Ton gerade in der Frauenlyrik den Kampf angesagt hat. Mit Witz und Tücke rückt sie überholten Rollenklischees und Tabus zu Leibe…‘.
Treffender lässt sich die Autorin, 1958 in Darmstadt geboren und seit Beginn ihres Studiums (Germanistik und Theaterwissenschaften) in München lebend, wohl kaum in dieser Kürze charakterisieren. Das könnte fast aus der Feder und Bewertungsschublade eines Marcel Reich-Ranicki sein. Ist es aber nicht, sondern von Barbara Maria Kloos selbst verfasst und Teil einer charmant angelegten PR in eigener Sache. Ich habe Verständnis und Sympathie für solcherlei Aktivitäten, die man auch als ein Stück Selbstverteidigung deuten kann. Denn warum sich unbedingt nur von anderen, von bestallten Kritikern, auf ein Image, eine Wahlverwandtschaft oder Schlimmeres festlegen lassen?...“
So habe ich Barbara Maria Kloos vor mehr als 20 Jahren gesehen und beschrieben. Mittlerweile bin ich ihr in Büchern (erschienen u.a. bei Schneekluth, Piper, der LyrikEdition 2000 oder der LCB-Editionen) mehrfach begegnet – und bin gespannt zu erfahren, welch bleibenden Eindruck die „wilde Barbara“ von einst heute Abend bei mir und Ihnen hinterlassen wird.
Der zweite Gast des Abends ist Hans-Werner Brun, ein Liedermacher aus Gernsheim. Er sagt über sich: „Das Schreiben gehört fest zu meinem Leben. Immer steht am Anfang eine Berührung, eine innere Stimme, eine erste Zeile. Manchmal sprudeln die Worte aus mir heraus, manchmal ist es ein langsames Fließen…“. Wie auch immer, Hans-Werner Brun ermöglicht uns einen etwas anderen Zugang zur Literatur.
Erstmals gesehen und gehört habe ich ihn bei der 1. und leider wohl auch letzten Kulturbörse des Kreiskulturbüros. Sein kurzer Auftritt dort weckte das Bedürfnis nach mehr. Auch deshalb ist er heute hier bei uns. Das zweite Mal sind wir uns bei einem „Tag des offenen Ateliers“ im Hause einer Malerin aus Groß-Gerau Nord, meiner Nachbarin, begegnet. Und hin und wieder sehen wir uns zudem, wenn der Groß-Gerauer Kulturstammtisch zur Gesprächsrunde lädt.
„Ich wünsche mir“, so hat er geschrieben, „dass meine Lieder und Gedichte die Zuhörer berühren – die lustigen, die leisen und die sinnlich-erotischen“. Womit angedeutet ist, was die Autorin und den Autor des heutigen Abends verbinden mag.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einmal mehr einen nachhaltig wirkenden Leseabend.


Wir Kultur in der Kreisstadt Groß-Gerau

Reihe „Dichterlesungen“ hat das kulturelle Profil geschärft

Von Dr. Dittmar Werner*, Gymnasiallehrer in der Kreisstadt und Lyriker; dittmarwerner@aol.com

Die Reihe „Dichterlesungen in der Kreisstadt“ wurde geplant und mit Informationen über die literarisch–biographischen Hintergründe der Autoren moderierend begleitet von W. Christian Schmitt, dem Initiator dieser Reihe und Herausgeber des WIR–Magazins. In Zusammenarbeit mit dem Vorstand der Volksbank, insbesondere Jörg Lindemann, der die (meisten der) acht Lesungen durch begrüßende Worte und Verweise auf deren Absicht und Idee hinführend einleitete, erhielt der organisatorische Rahmen der Lesungen seine Struktur. Die Schirmherrschaft über die Veranstaltungen hatte Kreisstadt-Bürgermeister Stefan Sauer übernommen.
Das interessierte Publikum, das mit achtzig bis hundertdreißig Zuhörern die jeweiligen Lesungen besuchte, bekam ein literarisches Spektrum zwischen erzählender Prosa und Lyrik geboten, das sowohl von bundesrepublikanisch bekannten Autoren als auch von Schreibenden aus dem Groß-Gerauer Umland repräsentiert wurde. Zumeist bot sich den Anwesenden die Gelegenheit neue Texte zu verfolgen oder Themen aufzunehmen, deren Entstehungszeit noch nicht lange zurücklag. Neben den unterschiedlichen Temperamenten der Lesenden, die sich „hautnah“ vermittelten, konnte man vom biographischen Schreiben bis hin zum fiktionalen Erzählen in prosaische Potenziale und lyrische Weltwahrnehmungen eintauchen. Gerade die Präsentation etablierter und lokal ansässiger Autoren bewirkte eine gespannte Aufmerksamkeit gegenüber den unterschiedlichen Persönlichkeiten und deren Schreibstilen.
Mit den „Dichterlesungen“ haben die Veranstalter und besonders die Autoren eine Erwartungshaltung getroffen, mit der das Publikum erfahren konnte, dass solch eine literarische Veranstaltungsreihe den Geist einer lokalen Kulturarbeit atmet, der nicht unter der Abwanderung in die Nachbarstädte leiden muss. Es gibt auch in Groß-Gerau ein Publikum, das eine derartige Lesereihe aufmerksam zu schätzen weiß. Denn dass „so etwas“ in Groß-Gerau möglich ist, hat das beschriebene kulturelle Angebot gezeigt: Groß-Gerau ist dabei, sich durch diese literarische Talentförderung ein geschärftes kulturelles Profil zu erarbeiten. Lokales literarisches Engagement – im Verbund mit Malerei und Musik – verliert den Dunst des Provinziellen, wenn entsprechende Auftritts- und Fördermöglichkeiten für Groß-Gerauer Künstler geschaffen werden. Groß-Gerau hat Autoren, Maler und Musiker, denen Öffentlichkeitsräume wie das „Kulturkabinett“ in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt, der Sparkassenstiftung und z.B. dem WIR-Magazin weiterhin offen stehen sollen. Dichterlesungen in der Kreisstadt sind in diesem Sinne Raumöffner und Gestaltgeber für kulturell noch Unentdecktes vor Ort.
Dazu beigetragen hat auch die Buchhandlung Calliebe, die mit den jeweiligen Werken der Autoren präsent war sowie verschiedene Jazz-Formationen, die den musikalischen Rahmen ausfüllten.

(*Dr. Dittmar Werner ist Anfang 2010 verstorben).


© Fotos: Tina Jung